Schüsse israelischer Soldaten während des Besuchs einer Diplomatengruppe im Westjordanland haben international Empörung ausgelöst. Die Diplomaten, zu denen auch ein deutscher Vertreter gehörte, besuchten am Mittwochmorgen Dschenin im von Israel besetzten Westjordanland, als israelische Soldaten Schüsse abfeuerten. Während die israelische Armee von "Warnschüssen" sprach, verurteilte das Auswärtige Amt den "unprovozierten Beschuss" der Diplomaten-Delegation.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und mehrere europäische Regierungen forderten sofortige Aufklärung von Israel; unter anderem Italien, Frankreich, Spanien und Portugal beriefen die israelischen Botschafter ein. Das genaue Geschehen war zunächst unklar: Das Auswärtige Amt in Berlin sprach von "Schüssen in Richtung einer angemeldeten diplomatischen Delegation". Laut dem belgischen Außenminister Maxime Prévot war der Besuch im Vorfeld mit der israelischen Armee koordiniert worden, die Diplomaten seien zudem in einem Konvoi "klar identifizierbarer Fahrzeuge" unterwegs gewesen.
Die israelische Armee erklärte dagegen, die Delegation sei von der genehmigten Route abgewichen und habe ein Gebiet betreten, "in dem sie sich nicht aufhalten durfte". Daraufhin hätten Soldaten "Warnschüsse" abgegeben. Es seien keine Verletzten gemeldet worden, die Armee "bedauert die entstandenen Unannehmlichkeiten", hieß es weiter.
Aufnahmen der Nachrichtenagentur AFP zeigen, wie die Delegation und sie begleitende Journalisten in Deckung eilen, während Schüsse zu hören sind. "Wir können von Glück reden, dass nichts Schlimmeres passiert ist", erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin. "Diesen unprovozierten Beschuss verurteilt das Auswärtige Amt scharf."
Die EU-Außenbeauftragte Kallas forderte Israel auf, den Vorfall zu untersuchen und "die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen". Jegliche Bedrohung des Lebens von Diplomaten sei "inakzeptabel". Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot schrieb im Onlinedienst X: "Das ist nicht hinnehmbar. Der israelische Botschafter wird einbestellt, um sich zu erklären."
Italiens Außenminister Antonio Tajani bestellte ebenfalls den israelischen Botschafter ein und betonte, "Drohungen gegen Diplomaten" seien inakzeptabel. Die portugiesische Regierung erklärte, der Vorfall stelle "internationales Recht in Frage" und berief den iraelischen Botschafter ein. Spanien verurteilte den Vorfall scharf und kündigte an, mit den übrigen betroffenen Ländern über eine "koordinierte Reaktion" zu beraten. Die ägyptische Regierung erklärte, der Vorfall verstoße "gegen jegliche diplomatischen Gepflogenheiten". Die Türkei verlangte eine sofortige Untersuchung.
Der Vorfall ereignete sich zu einer Zeit, da die internationale Kritik wegen des israelischen Vorgehens im Gaza-Krieg wächst. Die EU hatte wegen der Lage im Gazastreifen am Dienstag eine Überprüfung ihres Kooperationsabkommens mit Israel angekündigt. Israel reagierte empört und erklärte, der Schritt spiegele ein "völliges Fehlverständnis der komplexen Lage" wider, der sich Israel ausgesetzt sehe.
Ein Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde, der die Diplomatengruppe begleitet hatte, sprach von einem "rücksichtslosen Akt der israelischen Armee". Dieser vermittele der Delegation "einen Eindruck davon, wie das palästinensische Volk lebt", sagte Ahmad al-Dik. Die im Westjordanland regierende Autonomiebehörde sprach von einem "abscheulichen Verbrechen der israelischen Besatzungstruppen, die während eines Besuchs im Raum Dschenin eine im Staat Palästina akkreditierte diplomatische Delegation gezielt mit scharfer Munition unter Beschuss nahmen".
Nach Angaben eines europäischen Mitglieds der Delegation war die Gruppe in die Region um das palästinensische Flüchtlingslager Dschenin gereist, "um die Zerstörung zu sehen", die monatelange israelische Militäraktionen dort hinterlassen haben. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor anderthalb Jahren hat auch die Gewalt im seit 1967 von Israel besetzten Westjordanland stark zugenommen.
A.Louis--LCdB