Vor dem diesjährigen Christopher Street Day (CSD) in Berlin blicken die Organisatoren und der Verband Queere Vielfalt zuversichtlich auf die Parade - zugleich beklagen sie eine ernste und angespannte Lage. Vertreter des CSD Berlin und des LSVD+-Verbands sagten AFP am Freitag, sie seien gut vorbereitet und erwarteten ein "kraftvolles Zeichen" für Toleranz und Freiheit. Anders als der Bundestag kündigte der Bundesrat an, zum CSD am Samstag die Regenbogenflagge zu hissen.
"Wir stehen im regelmäßigen und vertrauensvollen Austausch mit der Berliner Polizei und Regen soll es sehr wahrscheinlich auch keinen geben", sagte Thomas Hoffmann, Vorstandsmitglied des CSD Berlin. Daher herrsche "Vorfreude und Zuversicht", dass am Samstag ein "kraftvolles Zeichen für mehr Freiheit, Toleranz und Gleichberechtigung" gesetzt werden könne, fuhr Hoffmann fort.
Auch Andre Lehmann, Bundesvorstand des LSVD+-Verbands, zeigte sich "zuversichtlich und guter Dinge, dass wir morgen einen friedlichen und lauten CSD erleben werden". Der Verband erwarte "ein starkes Zeichen für Sichtbarkeit und Vielfalt", sagte er AFP. Das brauche es in diesen Zeiten.
Der Berliner CSD findet am Samstag unter dem Motto "Nie wieder still" statt. Der Protestzug zieht von Mitte über Schöneberg zur Siegessäule im Stadtteil Tiergarten und passiert zahlreiche Gebäude des Regierungsviertels. Eröffnungsstatements halten unter anderem Bundestagsvizepräsidentin Josephine Ortleb (SPD) und Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne). Demonstriert wird für die Rechte unter anderem von Schwulen, Lesben, Transsexuellen und Transgender sowie Inter- und Bisexuellen.
Zwar gebe es "viel Solidarität und Kampfgeist", sagte Hoffmann vom CSD Berlin über die queere Community und Unterstützerinnen und Unterstützer, aber zugleich sei die Lage ernst: "Die Stimmen derjenigen, die sich gegen uns erheben, werden wieder lauter und selbstbewusster", sagte er. Viele queere Menschen hätten Angst und seien verunsichert.
Lehmann vom LSVD+ beklagte, in den vergangenen Jahren werde bundesweit ein "nahezu dramatischer Anstieg politisch motivierter Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen" beobachtet. Das passiere nicht nur verbal und online, sondern auch auf offener Straße. "Das ist besorgniserregend und zunehmend auch ein sicherheitspolitisches Staatsversagen." Denn es gehe dabei um die Sicherheit und Freiheit von Millionen Menschen. "Wir sind nicht nur ein paar Dutzend Leute."
Nach Angaben der Behörden steigen queerfeindliche Straftaten seit Jahren an. Nach einem Ende vergangenen Jahres veröffentlichten Lagebericht des Bundeskriminalamts und des Bundesinnenministeriums hat sich die Zahl der Straftaten im Bereich "Sexuelle Orientierung" und "Geschlechtsbezogene Diversität" seit 2010 nahezu verzehnfacht. Das liege auch an der zunehmenden Sichtbarkeit und Anzeigebereitschaft - zugleich werde von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
Für den CSD empfiehlt der LSVD+-Verband, in Gruppen an- und abzureisen und "in dunklen Ecken abseits der Demo besonders gut aufeinander aufzupassen". Diese Vorsicht habe in den vergangenen Jahren zugenommen. Auch in diesem Jahr ist unter anderem wieder eine rechtsextreme Gegendemonstration zum CSD angemeldet.
Vor diesem Hintergrund beklagten der Verband und die Organisatoren auch fehlende Unterstützung aus der Politik - und kritisierten etwa die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), dort keine Regenbogenfahne zu hissen. Das sei eine "klare und bewusste Distanzierung von queeren Menschen, während diese zunehmend angegriffen werden", sagte Lehmann AFP. Das habe auch nichts mit Neutralität zu tun. Hoffmann sprach von einem "falschen Zeichen zur falschen Zeit". Vielmehr sei ein Signal nötig, dass Niemand im Land allein gelassen werde.
Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) teilte hingegen mit, die Regenbogenflagge werde am Samstag vor dem Gebäude "als Zeichen für Vielfalt, Respekt und Toleranz" wehen. "Jeder Mensch hat das Recht, ohne Diskriminierung in Würde zu leben und zu lieben."
Y.Bernard--LCdB